Anruf bei... Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Geschichte Für Alle e.V.

Anruf bei... Dr. Jennifer Oevermann

veröffentlicht am: 16.05.2024

Hallo Frau Oevermann, schön, Sie an den Hörer zu bekommen. Geschichte Für Alle e. V. steht seit fast 40 Jahren für eine moderne, kritische und kontroverse Auseinandersetzung mit Geschichte. Wie kam es zur Gründung?

  

Dr. Jennifer Oevermann: 1985 haben Erlanger Studierende Geschichte Für Alle gegründet. In der Zeit war die Geschichtsvermittlung geprägt von einem personen- und ereignisgeleiteten Geschichtsverständnis. Betrachtet wurden die großen Gestalten der Politik und „wichtige“ Daten. Unseren Gründungsmitgliedern war es aber ein Anliegen, Geschichte aus der Basis zu erzählen. Der Alltag der Menschen sollte im Vordergrund stehen. Damals war dieser Ansatz in Stadtführungen neu. Unsere ersten Rundgänge handelten vom Leben im mittelalterlichen Nürnberg und von den Propagandaveranstaltungen der Nationalsozialisten auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände.

  

Ihr Motto „Wer Geschichte(n) erzählen will, muss sie zunächst erforschen.“ Was steckt dahinter?

Dr. Jennifer Oevermann: Unser Anliegen ist es, Geschichte zu vermitteln, nicht Mythen. Man kann zahlreiche Legenden um den Ring am Schönen Brunnen erzählen oder darüber, warum die Nürnberger Rostbratwurst so groß ist, wie sie ist. Die Stadtgeschichte hat so viel Spannenderes zu bieten, dass man auf moderne Märchen verzichten kann. Unser wissenschaftliches Team erforscht die Stadtgeschichte in Archiven und Bibliotheken und steht für eine professionelle Aufarbeitung der Geschichte.

  

Wissenschaftlichkeit, Kritik, Vermittlung sind Ihre 3 Grundprinzipien. Können Sie das näher erklären?

Dr. Jennifer Oevermann: Dieser Dreiklang bestimmt unsere Arbeit. Wir erforschen Stadtgeschichte wissenschaftlich. Wir hinterfragen gängige Deutungskonzepte und üben Kritik, wenn diese überholt sind. Wichtig ist aber vor allem die Vermittlung der Inhalte. Wir wollen unsere Themen möglichst vielen Menschen zugänglich machen. Wir achten daher darauf, dass unsere Mitarbeitenden fachlich und didaktisch fortlaufend geschult werden. Nur so können wir alle erreichen: ExpertInnen, Laien, SchülerInnen, Kinder, SeniorInnen.

  

Ehrenamtlichkeit und eine gezielte Nachwuchsförderung junger Wissenschaftler sind bis heute wichtige Charakteristika des Vereins. Wie gelingt das im Jahr 2024?

Dr. Jennifer Oevermann: Das Ehrenamt ist eine tragende Säule unseres Vereins. In Arbeitskreisen diskutieren und entwickeln unsere Rundgangsleitungen neue Themen und Konzepte von Stadtrundgängen. Der Verein unterstützt das Ehrenamt mit einem Budget, das für Ausflüge oder ein gemeinsames Treffen genutzt werden kann. Wir beschäftigen eine studentische Hilfskraft, die während des Studiums praktische Erfahrung in der Arbeitswelt sammeln kann. Für unsere studentischen Rundgangsleitungen schaffen wir einen maximal flexiblen Arbeitsplatz, der an aktuelle Bedürfnisse angepasst werden kann.

  

Welche Zielgruppe sprechen Sie mit Ihren Angeboten an?

Dr. Jennifer Oevermann: Wir stehen voll hinter unserem Vereinsnamen und bieten Geschichte für Alle – vom Laien bis zum Experten. Wir haben für viele verschiedene Zielgruppen spezielle Rundgänge entwickelt. Dazu gehören zum Beispiel Rundgänge für Demenzkranke, für eingeschränkt Sehende oder Blinde, für Seniorinnen und Senioren, für Kinder aller Altersgruppen und Schulklassen. Auch für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen finden wir jederzeit eine passende Route.

  

Sie nehmen Besucher auf spannende Geschichtsreisen mit. Welche Stadtführungen bieten Sie aktuell an?

Dr. Jennifer Oevermann: Unsere Klassiker führen über das ehemalige Reichsparteitagsgelände oder zeigen die Highlights von Nürnberg, Bamberg, Fürth und Erlangen. Eine Besonderheit sind unsere kulinarischen Rundgänge, bei denen wir uns in Häppchen durch die Ernährungsgeschichte bewegen. Neu sind dieses Jahr der Rundgang „Queer durch Nürnberg“, der sich mit der homo- und transsexuellen Geschichte beschäftigt, sowie unsere Stadtteil-Rundgänge durch den Nürnberger Stadtpark, Hummelstein oder über den Rochusfriedhof. In unseren Escape Rooms in den Felsengängen können Sie Geschichte auf besondere Art enträtseln.

  

Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Vereins?

Dr. Jennifer Oevermann: Wir wünschen uns, dass wir weiterhin viel Zulauf bei unseren Führungen erhalten und wir unsere Arbeit fortsetzen können. Weiterhin freuen wir uns über neue Rundgangsleitungen sowie (Förder-)Mitglieder, die von zahlreichen Angeboten profitieren können. Der Einzelne kann bei uns viel bewegen und sich gleichzeitig auf ein starkes Team von KollegInnen und einen professionellen Support aus den Geschäftsstellen verlassen.

  

Vielen Dank für das informative Gespräch!

  


Bildquelle(n): Geschichte Für Alle e.V.